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Herr Glückauf
18. Juni 2019

90 Minuten Hardcore

Wir haben eineinhalb Stunden. Mehr geht nicht. Mehr lässt der Film, seine Figur darin, nicht zu. 90 Minuten, das ist seine Zeit. Darum geht es doch. Deshalb stehen wir jetzt hier.

Witten, vor einer noch verschlossenen Kneipe.

Und Jochen Nickel tritt wie auf Zuruf in den Nachmittag, schließt sein Fahrrad an eine reichlich beklebte Laterne. Geht ein paar Meter, winkt kurz, lächelt länger. Nebenan auf dem Trottoir, im Café, an den Tischen, alte Bekannte. Bunte Hunde, die ihn kennen.

Natürlich, er kommt ja von hier.

Zur Begrüßung dann ein Blick in den noch azurblauen Himmel. Prüfend, wissend.

Da liegt was in der Luft, sagt Nickel. Ein Gefühl. Wir sollten uns beeilen, bevor der Regen kommt.

Also steigen wir ein, er als Beifahrer in den Mercedes. Schöne Farbe, Champagner. Nickel schnallt sich an. Jetzt, ganz offiziell, läuft die Zeit. Jetzt, ganz großartig auch, fahren wir einem Zitat hinterher. Von Witten nach Unna. Das Ziel kennt Nickel genau. Kleine Buderusstraße 10, Originalschauplatz.

Es ist der Ort aus dem Drehbuch. Und wenn man ihn sucht und dann findet, auf den Karten des Internets, stecken zwei Nadeln darin. Nebeneinander. Dort trägt dieser Ort zwei Namen.

Dolly’s Backshop.

Und Franky’s Videopower.
Als hätte man sie übereinandergelegt, Sedimente einer Erzählung. Eine Doppelbelichtung, die gleich auch erklärt, wieso wir heute unterwegs sind.

Im Mercedes Richtung Unna.

Dort ist etwas übriggeblieben. Und Jochen Nickel weiß auch, warum.

Vor 20 Jahren war er Teil von etwas. Vor 20 Jahren ist Bang Boom Bang in die deutschen Kinos gekommen. Peter Thorwarths todsicheres Ding, sein Langfilmdebüt, das nicht mehr sein wollte, als es war. Eine Kleinganovenklamotte aus dem Ruhrgebiet, ein halbstarkes Märchen, ein Außenseiterfilm, der an jenem Rand stattfand, an dem er spielte. In einer Halbwelt aus Ballonseide und Titten-Kalendern. Besetzt aber mit jenen Typen, die genau dafür gemacht waren. Für die Nische, den Hinterhof, das Zwielicht. Typen, die in beschädigte Biografien schlüpften wie in einen mit Öl verschmierten Blaumann. Sie passten wie angegossen.
Thorwarth, sagt Nickel, hat damals die richtigen Leute zusammengebracht.

Martin Semmelrogge, der aussah, als hätte er als wirklich einziger das Boot überlebt und sich danach aus den eigenen Tiefen zurück an die Oberfläche gekämpft. Hier war er Schlucke. Ein vom Alltag verkrüppelter, linkischer Hofhund, der an seinen Plänen ersticken sollte.

Oder Oliver Korittke, der Keek sein durfte, ein auf dem Sofa verwahrloster Tagedieb, der tatsächlich auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Und plötzlich im Zentrum der Handlung stand, das Falschgeld in bald blutverschmierten Händen.

Oder Ralf Richter, vorne kurz, hinten lang, der den cholerischen Bankräuber Grabowski darstellte, aber am Ende doch voller Inbrunst und durchaus fahndungsfotogen sich selbst spielte. Kurz vor der Premiere in Köln wurde er, fast standesgemäß und nahezu originalgetreu, wegen Drogenhandels verhaftet und musste schließlich für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis.

Dazu Til Schweiger am Anfang und Willi Thomzyck am Ende. Christian Kahrmann, der mal Benny Beimer war und Alexandra Neldel, die später die Wanderhure werden sollte.

Eine Rudelbildung aus Vorabendprominenz und Film-Film-Gesichtern, und Diether Krebs stand am Rand und zahlte die Rote Karte. Es war seine letzte Kinorolle.

Gedreht wurde in Unna und Dortmund, auf den Bundesstraßen und vor Baumärkten, an Tankstellen und am Flughafen bei Holzwickede. Peter Thorwarth, der Regisseur, auch er ist hier aufgewachsen, er kannte jede Abkürzung und jede Brache. Den Asphalt, durch den die Wurzeln schlugen.

Der Film, hier im Ruhrgebiet ist er zuhause. Und hier hat er auch überdauert.

Denn heute, 20 Jahre später, läuft er noch immer an jedem Freitag um 23 Uhr im UCI Bochum. Seit mehr als 1000 Wochen. Dann sitzen dort Menschen im Kino, die jeden Dialog auswendig mitsprechen können, um jede Szene wissen. Menschen, die mit Keek und Schlucke und Kalle Grabowski erwachsen geworden sind, während dort auf der Leinwand für immer 1999 ist.

Das, sagt Nickel jetzt, gibt es sonst nur bei Harold und Maude oder bei der Rocky Horror Picture Show. Aber sonst? Er wirft einen Blick auf die Rückbank, findet auch dort keine Antwort.

In Deutschland, sagt er dann, ziemlich stolz auch, gibt es sowas kein zweites Mal.

Und zum Jubiläum nun wird noch einmal der rote Teppich ausgerollt. Für den Regisseur, für Ralf Richter, es soll T-Shirts geben für jeden Besucher.

Ein Kultfilm, sagen die Menschen in Bochum, wenn man sie fragt.

Ein Kultfilm, sagt auch Nickel. Ganz klar.

Kult, diese eigentlich abgelutschte Hörzu-Vorsilbe, hier klingt sie nach Anerkennung. Eine Auszeichnung, von den Jahren verliehen. Der Film, so kann man es sagen, ist gut gealtert. Und vielleicht ist er heute sogar mehr als damals. Aber warum eigentlich? Was ist bitteschön das Geheimnis dahinter?
Und Jochen Nickel schweigt erstmal, ein bisschen länger als notwendig. Die gut gesetzte Pause als Trommelwirbel des Schauspielers. Es ist Magic, sagt er dann. Zauberei. Es gibt da diese Meta-Ebene.

Dann schaut er wieder lässig aus dem Fenster, als könnte er aus der Landschaft dort draußen den nächsten Gedanken formen. Als läge die Antwort tatsächlich hinter den Stromtrassen, hinter der nächsten Abfahrt. Der Film, sagt er dann, hat das Unterbewusstsein des Ruhrgebiets angezapft.

Und so muss hier nun, auf halbem Wege zwischen Unna und Witten, über das Zuhause als solches gesprochen werden, über den Pott als Lebensraum, als Ort, an den man zurückkehren kann. Immer wieder. Was nun ohnehin ein gutes Thema ist, weil Jochen Nickel gerade wieder öfter hier ist. Bei den Eltern, da sitzt er dann, in der Nähe der Nähe. Verbringt Zeit, lässt sich blicken, bleibt auch mal länger. Nach den Jahren im Abstand. Er ist ja durchaus rumgekommen. War in München und Hamburg, auf Mallorca und lebt jetzt in Berlin, ein anderes Dorf, in dem er auch mal mit Christian Kahrmann am Tresen saß oder Gast war in dessen Café. Einmal haben sie den Film laufen lassen. Zwei Männer, durch den Abspann Komplizen. Der Kahrmann ist schließlich auch ein Kollege.

Die alten Verbindungen, sie haben gehalten. Die feste Takelage der Herkunft.

Weg, sagt Nickel, war ich eigentlich nie. Ich war nur immer woanders.

Aus der Ferne jedenfalls hatte er einen guten Blick auf die Heimat.

Ruhrgebiet, sagt Nickel, das bedeutet Familie. Verwandte Biografien. Es bedeutet, dass einer, der von hier ist, am Abend in die Kneipe kommen kann und genau weiß, dass ganz sicher auch immer ein anderer da ist, der ihn noch kennt. Dann gibt es mindestens ein großes Hallo. Und man setzt sich dazu, setzt noch einen drauf. Jochen, du geiles Pferd. Nach Witten ist Dienstag.

Wenn ich nach Hause komme, sagt Nickel, treffe ich sie alle. Da brauche ich gar nicht lange zu suchen. Nur manchmal fehlt einer, eine Lücke am Tresen, ein vertrautes Gefühl weniger.

Der Film, sagt er jetzt, das war auch eine Erinnerung an alte Zeiten. An den Mist, den wir gebaut haben, die ganze Scheiße der Jugend.

Draußen jetzt Holzwickede, dann wieder Autobahn, darüber erste Wolken. Eine Ahnung. Und auch hinter den Bäumen verbirgt sich noch mehr. Und Nickel erzählt von Mutproben und Schnapsideen, von Nächten, die gut ausgegangen sind und von Tagen, an denen man eine Wette gewinnen oder einen Daumen verlieren konnte. So war das nun mal.

Einer, sagt er, war doch immer was am Planen dran. Ein Zitat, er setzt es bewusst. Es öffnet den Raum. Dann verschwimmt die Fiktion.

Weil doch einer immer auch einen kannte, der einen kannte, der wie Schlucke war. Oder wie Keek. Den Kiffer, den Ficker, den Gelegenheitsganoven. Den einen, der, ich schwöre, noch wusste, wo die Ladung Videorekorder vom Laster gefallen war. Oder den anderen, der fast mal bei Schalke gespielt hätte und am Ende doch an der Zapfsäule stand, weil Kreuzband. Karikaturen, vom Leben gezeichnet. Sie teilten sich eine Jugend, aber vor allem teilten sie eine Sprache. Diese Komik der Knappheit, die es in Deutschland vielleicht wirklich kein zweites Mal gibt.

Die Leute hier, sagt Nickel, sind wie die Finnen. Wie die Finnen in den Filmen von Kaurismäki. Dieser trockene Humor, da ist nichts drum rum. Das ist einfach so.

Das muss man verstehen. Und genau darin liegt schon die Antwort auf die Frage vorhin.

Der Zauber, magic.

Denn Peter Thorwarth war es gelungen, die Sprache seiner Heimat, ihre Zwischentöne und Eigenheiten in Dialoge zu gießen. Sein Drehbuch allein war eine grellbunte Liebeserklärung an das Ruhrgebiet, an seine Gestalten und die Melodie ihrer Gespräche. An dieses ganz großartige Eckenstehtheater der Trinkhallen und Aschestadien. An die Originale und ihre Schauplätze.

Ein Heimspiel, auch für Nickel.

Aus den so hingeworfenen, teilweise auch auf den Gehsteig gerotzten, mal gestotterten und mal gebrüllten Sätzen sind längst geflügelte Worte geworden.

Das todsichere Ding, sagt der Titel.

Horst hatte schlechten Tag, sagt Hilmi.

Ich bin da was am Planen dran, sagt Schlucke.

Was hat der Typ meine Alte zu ficken, sagt Kalle Grabowski.

Und dann ist da noch die vielleicht schönste Ansage des Films, sind da fünf Wörter, in denen ein ganzer Charakter steckt. Gesprochen von Franky, dem Videothekenbesitzer, der in seinem Keller nebenher Pornos dreht, bis er sich eben die genau falsche Alte vor die Kamera holt, um ordentlich einzulochen. Als er die folgenschwere Fickerei gleich zu Beginn der Handlung verschwörerisch über den Tresen reicht, feierlich wie einen Barren Gold, scheinen ihm die Worte, ölig und grell, direkt über die Sonnenbank gebräunte Brust zu laufen.

90 Minuten Hardcore, sagt er da. Echte Gefühle.
Es ist ein Satz, der noch tropft, noch halbsteif ist. Er sagt ihn und verschwindet mit einem Augenzwinkern dahinter. Im Anschluss, in seiner nächsten Szene, wird er dafür überfahren. Vor seinem Laden, mit einem goldenen SEC, der hier natürlich Sätsch heißt. Einmal frontal und dann, als müsste der Film vor der Rückgabe erst wieder an den Anfang gespult werden, noch mal mit Schulterblick. Es rumpelt, danach ist Schluss. Franky stirbt als kleiner werdender Haufen im Rückspiegel. Das schnelle Ende einer Nebenrolle.

Die Gefühle aber blieben und der Satz begann, über den Film hinauszuwachsen, bis er irgendwann so groß war, dass man ihn auf Transparente malen konnte.

2003, im letzten Heimspiel des BVB gegen Energie Cottbus, hing er in der Südtribüne des Westfalenstadions. 90 Minuten Hardcore. Eine Botschaft der Dortmunder an den Gegner und an die eigene Mannschaft. Echte Gefühle noch lange vor der Echten Liebe, die tatsächlich erst viel später als selbsterdachtes Gütesiegel auf schwarzgelbe Emotionen geheftet wurde.
Franky war eben schon vorher der Geilste.

Und Jochen Nickel hatte seinen Anteil daran.

Der Satz, sagt er, kam sogar mir. Der stand nicht im Drehbuch, der kam mir vor Ort.

Die Kamera lief und Nickel sollte den Franky nicht einfach nur sprechen, er sollte ihn füllen.

Den Pornowichser, sagt Nickel. Er wird ihn seitdem nicht mehr los. Der Film, er begleitet ihn noch immer. Auch Jochen Nickel ist Kult.

Vor zwei Jahren, sagt er nun, da stand ich auf der Zeche Nachtigall. Und da waren zwei Jungs, der eine elf vielleicht, der andere vierzehn. Die hatten Skateboards unter dem Arm und schauten immer so hoch. Und als ich von den Erwachsenen gefragt wurde, welchen Film ich als nächstes mache, da meldete sich einer der Jungs. Den besten Film, sagte er, hast du doch eh schon gemacht.

Bang Boom Bang.

Und Nickel muss lachen. Das ist schon krass, sagt er dann. Der Film war ungefähr acht Jahre vor deren Geburt. Aber die kannten das einfach, generationsübergreifend. Als hätte man ihnen das Wissen darüber vererbt. Ruhrgebiets-DNA.

Ein andermal wurde Nickel in einem Biergarten erkannt, von einer heiteren Truppe, junge Männer in bester Laune. Die sind dann alle auf die Bänke gestiegen und haben einen Toast ausgebracht, haben ihm zugeprostet wie einem alten Freund. Ihm, dem Franky mit der Videothek.

Und an der Alster schließlich, bei einem Spaziergang, wurde Nickel von einem Jogger überholt. Der schaute kurz, nee ne, und stolperte. Der, sagt Nickel, hat sich fast hingelegt. Atemlos stand er dann vor ihm, bisschen aus dem Häuschen auch. Der Jogger hatte den Film am Abend vorher noch gesehen. Zum 25. Mal, sagt Nickel und schüttelt den Kopf.

25 Mal Hardcore. Zweitausendzweihundertfünfzwanzig Minuten echte Gefühle.

Und sowas, sagt Jochen Nickel, passiert dir nur, weil du vor 20 Jahren mal in diesem einen Film mitgespielt hast. Irre, oder?

Der Pornowichser, sagt er, damit muss ich jetzt leben.

Dann sind wir da.

Unna, Kleine Buderusstraße, parken gleich neben einer Lore, die gusseisern Geschichte ausstellt, ans Schuften erinnert. Einhundert Jahre Bergbau. Sonst ist hier nichts, vor allem kein Sound. Nur Stille, die Nachmittagsruhe der Reihenhäuser. Und dazwischen, irgendwie fehl am Platze, steht das Zechenhaus, in dem vor 20 Jahren gedreht wurde.

Ein unverputzter Kontrast.

Das, sagt Nickel, sieht immer noch genauso aus, da wurde nichts dran gemacht.

Die Fassade ist noch dieselbe, ein dunkles abweisendes Grau. Könnten diese Wände reden, auch sie würden wohl jede Szene mitsprechen können. Über zwei ausladenden Schaufenstern aber hängt ein anderes Schild. Dolly’s Backshop. Der andere Laden, er sollte jetzt eigentlich geöffnet haben. Bis 17 Uhr, so steht es an der Tür. Doch sind die Rollläden, es ist gerade halb Vier, herunter gelassen wie halb geschlossene Lider.

Das ist Unna, sagt Nickel, vielleicht haben die eine andere Zeitrechnung.

Er schaut sich noch einmal um. Sieht Zäune und Garagen. Leben, die hinter adrett gestutzten Hecken kauern. Eine Siedlung wie aus einer Werbung für Bausparverträge.

Steine, auf die man bauen kann. Kohle, auf die gebaut wurde. Jochen Nickel setzt sich auf eines der Fensterbleche, in denen sich die Sonne matt spiegelt.

Dann öffnet sich die Tür und einer tritt heraus auf die Stufen.

Wollen Sie mein Auto kaufen, fragt er dann und lächelt. Auch er gleich im Film. Auch er kennt die Zitate. Und Nickel blickt zu ihm hoch, schräg und gegen das Licht, gefällt ihm gleich gut, dieser durchaus lässige Auftritt des Fremden.

Das, sagt er dann, war mal mein Videoshop.

Ich weiß, sagt der Fremde, ich habe das Gesicht erkannt.

Nickel lacht, natürlich. Den Pornowichser, er wird ihn tatsächlich nicht los.

Dann reicht ihm der Fremde die Hand und stellt sich vor. Detlef Doll. Er ist der Dolly, das ist sein Backshop hier. Und er bittet hinein, vorne die Kaffeemaschine, der Kühlschrank, hinten das Büro, in dem er die Erinnerungen aufbewahrt. Er bietet Wasser an und einen Stuhl. Routinierte Gastgeberschaft. Detlef Doll kennt das. Er bekommt öfter Besuch. Von Menschen, die eine Videothek suchen und seinen Backshop finden. Dolly und Franky, was soll man machen.

Früher, sagt er, kamen die Touren, 50 Leute mitunter, dann die Junggesellenabschiede.

Noch ein letztes Mal Hardcore, noch einmal echte Gefühle.

Am Anfang, sagt er, haben sie hier noch die Szene nachgespielt, in der Franky überfahren wird.

Echt, fragt Nickel.

Ja, sagt Doll, mit quietschenden Reifen. Das waren fremde Kennzeichen, meist nicht von hier, meist von woanders, Recklinghausen und Kiel. Die haben Fotos gemacht und sind weitergefahren.

Ein wiederkehrendes Spiel. Er hat es erst nicht verstanden. Was wollten die hier? Irgendwann aber, alles zu bunt, ist er dann raus vor die Tür, um mal zu fragen, was das eigentlich soll. Seitdem gehört er dazu. Ein Eingeweihter. Mit der Zeit hat er sich auch daran gewöhnt. Detlef Doll, das lässt sich nicht ändern, hat eine Kulisse gepachtet.

Und Jochen Nickel, Mitwisser, nickt. Die Menschen, sagt er dann, haben das zu ihrem Film gemacht.

Und vielleicht ist das die letztgültig beste Definition für den Kult. Die Aneignung als ganz eigene Dynamik, weil die Menschen, im Kino oder zuhause auf der Couch, in diesem Film ein Zuhause gefunden haben, eine tatsächliche Heimat. Eine Wohngemeinschaft, in der sie sich einrichten konnten, zwischen der Glasbong, den Neonreklamen, der schmutzigen Wäsche. Mit Keek und Schlucke und Franky als Mitbewohner, die seit Jahren dasselbe erzählen und gerade deshalb nicht langweilen. Der Film, er ist dann etwas, an dem man sich festhalten kann. Gerade, weil alle darin dieselbe Sprache sprechen.

In der Ecke, gleich neben der Kaffee-Maschine, steht noch ein Foto. In einem Rahmen, der einer Filmklappe nachempfunden wurde. Der harte Schnitt. Darauf Dolly und Ralle, Arm in Arm.

Der Richter, sagt Doll, war auch schon hier.

Einmal mit einer Gruppe, Firmenausflug zum Film. Bang Boom Butterfahrt. Und einmal mit dem goldenen Sätsch.Kam als Grabowski. Und wollte den Wagen verkaufen. Fuhr durch Unna, hatte einen Fotografen dabei. Die große Show. Das stand dann am nächsten Tag in der Zeitung. Den Artikel hat Detlef Doll natürlich behalten, ausgeschnitten, kopiert, laminiert. Er ist jetzt wasserabweisend, liegt so auf dem Tisch. Ralf Richter und der Mercedes in glänzendem Sepia, ein Stillleben verzweifelter Zuversicht.

Hinten im Büro liegen auch noch ein paar andere Texte zum Thema. Gab ja genug. Der Film, er gehört hier einfach dazu. Und um die Ecke, sagt Doll nun zu Nickel, wohnt auch ein Double von Ihnen. Der Klaus, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Und Jochen Nickel schaut, als hätte er nichts anderes erwartet. Als wäre er keineswegs überrascht. In Unna, wie sollte es anders sein, läuft noch einer rum, der aussieht wie er. Wie Franky. Als wäre der nie gestorben, als hätte der Film nie geendet.

Der Pornowichser, alle paar Wochen wird er hier überfahren und am nächsten Tag läuft er an den Schaufenstern vorbei. Da verschwimmt es dann wieder unter einem harten Himmel.

Stranger than fiction, sagt Nickel. Ganz offensichtlich begeistert von all diesen Vorstellungen. Es stimmt ja, es liegt etwas in der Luft. Und wir verabschieden uns. An der Lore dreht sich Nickel noch mal um, sieht die Gitter der Fenster, den alten Putz. Detlef Doll hat bereits die Läden runtergelassen.

Dieses Haus, sagt Jochen Nickel, hinein in den Aufbruch, steht irgendwann unter Denkmalschutz. Und in 20 Jahren kommt das UCI und macht ein Kino draus, in dem nur ein Film läuft. Bang Boom Bang in der Endlosschleife. Die Ewigkeit der echten Gefühle. Hardcore bis an den Horizont.

Dann ist die Zeit vorüber. 90 Minuten. Dann beginnt der Regen.

Fotos: © Philipp Wente / www.philippwente.com