Der Herr Dieske steht an der Seite, doch mittendrin. Seit halb Acht ist er hier. Kreisliga, immer der erste am Platz. Er ist Schalker. Das wissen hier alle.
Er hat im Parkstadion getrommelt. Er ist so alt wie die letzte Meisterschaft her.
Der Herr Dieske kommt jeden Tag, Wetter egal, mit Bus und mit Bahn, zahlt die Monatskarte aus eigener Tasche. Trägt eine Plastiktüte unter dem Arm und ein Schalke-Trikot unter der Jacke. So ein Mensch ist er, der Herr Dieske.
Immer schon wenig, davon aber viel.
Er musste um jede Mark kämpfen, er hat die Eurofighter gesehen.
Der Herr Dieske, der mit der Trommel dort stand. Youri Mulder und Olaf Thon, hat den Rhythmus bestimmt, sie nach vorne gepeitscht. Immer wieder die Kurve gekriegt.
Parkstadion, Trommel, Schalke 04. Das war mein Leben sagt er.
Auf Schalke, sagt er, kannst du unsterblich werden. Für immer bleiben.
Und wenn er doch einmal geht, ganz am Ende, dann sollen sie ihn senkrecht in die Erde einlassen, damit er schon steht, wenn der Pfarrer ihn trifft.
Weil er ja Schalker ist, der Herr Dieske. Das wissen hier alle.
Das mit dem Tod allerdings, das ist nicht so leicht. Das mit Gott, sagt Herr Dieske, ist ja so eine Sache. Denn wenn er den trifft, dann muss er ihn fragen, geht ja nicht anders, was das eigentlich war, was das sollte damals. Diese 4:37 im Mai. Er weiß das auf die Sekunde genau, die vielleicht für immer beschissenste Zahl.
Das war wie Zahnarzt, sagt er.
Der Herr Dieske, er dachte ja immer, der Herrgott sei Schalker. Bis zu diesem Tag, Assauers halbe Zigarre in traurigen Händen. Er war im Stadion damals, hatte lauter getrommelt als jemals zuvor. Damit es die Bayern in Hamburg noch hören. Genutzt hat es nichts.
So viele letzte Sekunden. Er hat erst gebetet und dann den Glauben verloren.
Und in der Nacht dann saß er, der Herr Dieske, in seinem Wohnzimmersessel und hat erst gesoffen und dann geweint, bis er Eigenschlafen ist, königsblau. Hatte so viel geweint, bittere Tränen, dass er nicht mal mehr pissen konnte, echt wahr, so ein Mensch ist er auch.
Gleichzeitig ganz voll und ganz leer. Ehrliche Haut.
Schalke das war sein Leben, die Trommel, die halbe Zigarre in traurigen Händen. Vorbei.
Der Herr Dieske kann sich das Stadion schon lang nicht mehr leisten. Der Rausch ist teuer geworden. Das Stadion heißt jetzt wie das Bier, das er trinkt.
Er ist Frührentner, Osteoporose, die obersten Wirbel aus Plastik, klopft sich auf den Kehlkopf, versehrt.
Deshalb steht er hier am Platz, jeden Tag, immer der erste. Wenn gespielt wird noch früher.
Das kleinere Stadion, in der Hand den Besen, die Trommel im Schrank.
Der Verein ist Arbeit, Familie, ist Sinn.
Was soll er denn sonst machen. zuhause sitzen und saufen?
Der Herr Dieske. Saufen, sagt er, kann ich auch hier.
Er hat ja immer versucht, das Beste aus allem zu machen. Und das Beste ist nun mal der Verein. War immer schon so. Früher Schalke, jetzt hier. Mitten in Bottrop am Rand.
Hier zieht er die Linie, Kreide an den Klamotten, Asche unter den Nägeln.
Er gibt sich Mühe, steht ja für etwas, Amt und Ehre. Wenn es ginge, er würde den Trainingsanzug zuhause auch bügeln.
Der Herr Dieske, knitterfrei, kein Loch in der Hose, kein Dreck am Stecken.
Nun hat er die Trommel gegen die Fahne getauscht.
Abseits, sagt er, ist immer erst, wenn der Schiri pfeift.
Fotos: © Philipp Wente / www.philippwente.com