Franky war eben schon vorher der Geilste.
Und Jochen Nickel hatte seinen Anteil daran.
Der Satz, sagt er, kam sogar mir. Der stand nicht im Drehbuch, der kam mir vor Ort.
Die Kamera lief und Nickel sollte den Franky nicht einfach nur sprechen, er sollte ihn füllen.
Den Pornowichser, sagt Nickel. Er wird ihn seitdem nicht mehr los. Der Film, er begleitet ihn noch immer. Auch Jochen Nickel ist Kult.
Vor zwei Jahren, sagt er nun, da stand ich auf der Zeche Nachtigall. Und da waren zwei Jungs, der eine elf vielleicht, der andere vierzehn. Die hatten Skateboards unter dem Arm und schauten immer so hoch. Und als ich von den Erwachsenen gefragt wurde, welchen Film ich als nächstes mache, da meldete sich einer der Jungs. Den besten Film, sagte er, hast du doch eh schon gemacht.
Bang Boom Bang.
Und Nickel muss lachen. Das ist schon krass, sagt er dann. Der Film war ungefähr acht Jahre vor deren Geburt. Aber die kannten das einfach, generationsübergreifend.
Als hätte man ihnen das Wissen darüber vererbt. Ruhrgebiets-DNA.
Ein andermal wurde Nickel in einem Biergarten erkannt, von einer heiteren Truppe, junge Männer in bester Laune. Die sind dann alle auf die Bänke gestiegen und haben einen Toast ausgebracht, haben ihm zugeprostet wie einem alten Freund. Ihm, dem Franky mit der Videothek.
Und an der Alster schließlich, bei einem Spaziergang, wurde Nickel von einem Jogger überholt. Der schaute kurz, nee ne, und stolperte. Der, sagt Nickel, hat sich fast hingelegt. Atemlos stand er dann vor ihm, bisschen aus dem Häuschen auch. Der Jogger hatte den Film am Abend vorher noch gesehen. Zum 25. Mal, sagt Nickel und schüttelt den Kopf.
25 Mal Hardcore. Zweitausendzweihundertfünfzwanzig Minuten echte Gefühle.
Und sowas, sagt Jochen Nickel, passiert dir nur, weil du vor 20 Jahren mal in diesem einen Film mitgespielt hast. Irre, oder?
Der Pornowichser, sagt er, damit muss ich jetzt leben.
Dann sind wir da.
Unna, Kleine Buderusstraße, parken gleich neben einer Lore, die gusseisern Geschichte ausstellt, ans Schuften erinnert. Einhundert Jahre Bergbau. Sonst ist hier nichts, vor allem kein Sound. Nur Stille, die Nachmittagsruhe der Reihenhäuser. Und dazwischen, irgendwie fehl am Platze, steht das Zechenhaus, in dem vor 20 Jahren gedreht wurde.
Ein unverputzter Kontrast.
Das, sagt Nickel, sieht immer noch genauso aus, da wurde nichts dran gemacht.
Die Fassade ist noch dieselbe, ein dunkles abweisendes Grau. Könnten diese Wände reden, auch sie würden wohl jede Szene mitsprechen können. Über zwei ausladenden Schaufenstern aber hängt ein anderes Schild. Dolly’s Backshop. Der andere Laden, er sollte jetzt eigentlich geöffnet haben. Bis 17 Uhr, so steht es an der Tür. Doch sind die Rollläden, es ist gerade halb Vier, herunter gelassen wie halb geschlossene Lider.
Das ist Unna, sagt Nickel, vielleicht haben die eine andere Zeitrechnung.
Er schaut sich noch einmal um. Sieht Zäune und Garagen. Leben, die hinter adrett gestutzten Hecken kauern. Eine Siedlung wie aus einer Werbung für Bausparverträge.
Steine, auf die man bauen kann. Kohle, auf die gebaut wurde. Jochen Nickel setzt sich auf eines der Fensterbleche, in denen sich die Sonne matt spiegelt.
Dann öffnet sich die Tür und einer tritt heraus auf die Stufen.
Wollen Sie mein Auto kaufen, fragt er dann und lächelt. Auch er gleich im Film. Auch er kennt die Zitate. Und Nickel blickt zu ihm hoch, schräg und gegen das Licht, gefällt ihm gleich gut, dieser durchaus lässige Auftritt des Fremden.
Das, sagt er dann, war mal mein Videoshop.
Ich weiß, sagt der Fremde, ich habe das Gesicht erkannt.
Nickel lacht, natürlich. Den Pornowichser, er wird ihn tatsächlich nicht los.
Dann reicht ihm der Fremde die Hand und stellt sich vor. Detlef Doll. Er ist der Dolly, das ist sein Backshop hier. Und er bittet hinein, vorne die Kaffeemaschine, der Kühlschrank, hinten das Büro, in dem er die Erinnerungen aufbewahrt. Er bietet Wasser an und einen Stuhl. Routinierte Gastgeberschaft. Detlef Doll kennt das. Er bekommt öfter Besuch. Von Menschen, die eine Videothek suchen und seinen Backshop finden. Dolly und Franky, was soll man machen.
Früher, sagt er, kamen die Touren, 50 Leute mitunter, dann die Junggesellenabschiede.
Noch ein letztes Mal Hardcore, noch einmal echte Gefühle.
Am Anfang, sagt er, haben sie hier noch die Szene nachgespielt, in der Franky überfahren wird.
Echt, fragt Nickel.
Ja, sagt Doll, mit quietschenden Reifen. Das waren fremde Kennzeichen, meist nicht von hier, meist von woanders, Recklinghausen und Kiel. Die haben Fotos gemacht und sind weitergefahren.
Ein wiederkehrendes Spiel. Er hat es erst nicht verstanden. Was wollten die hier? Irgendwann aber, alles zu bunt, ist er dann raus vor die Tür, um mal zu fragen, was das eigentlich soll. Seitdem gehört er dazu. Ein Eingeweihter. Mit der Zeit hat er sich auch daran gewöhnt. Detlef Doll, das lässt sich nicht ändern, hat eine Kulisse gepachtet.
Und Jochen Nickel, Mitwisser, nickt. Die Menschen, sagt er dann, haben das zu ihrem Film gemacht.
Und vielleicht ist das die letztgültig beste Definition für den Kult. Die Aneignung als ganz eigene Dynamik, weil die Menschen, im Kino oder zuhause auf der Couch, in diesem Film ein Zuhause gefunden haben, eine tatsächliche Heimat. Eine Wohngemeinschaft, in der sie sich einrichten konnten, zwischen der Glasbong, den Neonreklamen, der schmutzigen Wäsche. Mit Keek und Schlucke und Franky als Mitbewohner, die seit Jahren dasselbe erzählen und gerade deshalb nicht langweilen. Der Film, er ist dann etwas, an dem man sich festhalten kann. Gerade, weil alle darin dieselbe Sprache sprechen.
In der Ecke, gleich neben der Kaffee-Maschine, steht noch ein Foto. In einem Rahmen, der einer Filmklappe nachempfunden wurde. Der harte Schnitt. Darauf Dolly und Ralle, Arm in Arm.
Der Richter, sagt Doll, war auch schon hier.
Einmal mit einer Gruppe, Firmenausflug zum Film. Bang Boom Butterfahrt. Und einmal mit dem goldenen Sätsch.Kam als Grabowski. Und wollte den Wagen verkaufen. Fuhr durch Unna, hatte einen Fotografen dabei. Die große Show. Das stand dann am nächsten Tag in der Zeitung. Den Artikel hat Detlef Doll natürlich behalten, ausgeschnitten, kopiert, laminiert. Er ist jetzt wasserabweisend, liegt so auf dem Tisch. Ralf Richter und der Mercedes in glänzendem Sepia, ein Stillleben verzweifelter Zuversicht.
Hinten im Büro liegen auch noch ein paar andere Texte zum Thema. Gab ja genug. Der Film, er gehört hier einfach dazu. Und um die Ecke, sagt Doll nun zu Nickel, wohnt auch ein Double von Ihnen. Der Klaus, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Und Jochen Nickel schaut, als hätte er nichts anderes erwartet. Als wäre er keineswegs überrascht. In Unna, wie sollte es anders sein, läuft noch einer rum, der aussieht wie er. Wie Franky. Als wäre der nie gestorben, als hätte der Film nie geendet.
Der Pornowichser, alle paar Wochen wird er hier überfahren und am nächsten Tag läuft er an den Schaufenstern vorbei. Da verschwimmt es dann wieder unter einem harten Himmel.
Stranger than fiction, sagt Nickel. Ganz offensichtlich begeistert von all diesen Vorstellungen. Es stimmt ja, es liegt etwas in der Luft. Und wir verabschieden uns. An der Lore dreht sich Nickel noch mal um, sieht die Gitter der Fenster, den alten Putz. Detlef Doll hat bereits die Läden runtergelassen.
Dieses Haus, sagt Jochen Nickel, hinein in den Aufbruch, steht irgendwann unter Denkmalschutz. Und in 20 Jahren kommt das UCI und macht ein Kino draus, in dem nur ein Film läuft. Bang Boom Bang in der Endlosschleife. Die Ewigkeit der echten Gefühle. Hardcore bis an den Horizont.
Dann ist die Zeit vorüber. 90 Minuten. Dann beginnt der Regen.
Fotos: © Philipp Wente / www.philippwente.com